
Gericht ordnet fachärztliche Beratung für Schwangere an!
von Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Rainer Hellweg, Hannover
Es gibt Konstellationen und Lebenssituationen, in denen sich werdende Mütter nicht so verhalten, wie es für das Wohl des werdenden Lebens gut wäre. In Ausnahmefällen kann ein Gericht sogar anordnen, dass sich eine Schwangere in fachärztliche Behandlung begeben muss, wie der aktuell veröffentlichte Beschluss des Amtsgerichts (AG) Wesel vom 15.03.2021 (Az. 33 F 21/21) zeigt. Was GynäkologInnen zu den Möglichkeiten gerichtlich angeordneter Behandlung von Schwangeren (und auch von schon geborenen Kindern) wissen sollte, zeigt der folgende Beitrag auf.
Der Fall
In dem vom AG Wesel entschiedenen Fall war die Initiative vom Jugendamt ausgegangen, das sich an das Familiengericht gewandt hatte. Das Jugendamt ging davon aus, es bestehe eine fortgeschrittene Schwangerschaft mit Drillingen. Die werdende Mutter sei erziehungsungeeignet. Obwohl sie hochschwanger sei, sei nicht belegt, dass sie sich überhaupt jemals in fachärztliche Beratung oder Behandlung im Zusammenhang mit der Schwangerschaft begeben habe.
Die entscheidende Gesetzesnorm in Bezug auf diesen Fall ist § 1666 Abs. 1 BGB, der bestimmt:
„Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.“
Adressiert wird dem Wortlaut nach hier vorrangig das Wohl des schon geborenen Kindes. Was aber gilt für das ungeborene Leben? Können zu diesem Zweck auch die Persönlichkeitsrechte der Schwangeren – die sich nicht behandeln lassen möchte – eingeschränkt werden?
Die Entscheidung
Das AG Wesel hat dies bejaht. Der vom Gesetzgeber intendierte Schutz müsse sich auch auf noch ungeborene Kinder erstrecken. Daher wurde durch das Gericht die Anordnung getroffen, dass sich die werdende Mutter wegen ihrer Schwangerschaft sofort der Hilfe durch fachärztliche Beratung und Behandlung eines ihr vom Jugendamt zu vermittelnden Gynäkologen zu unterziehen und sich in eine ihr vom Jugendamt zu vermittelnde Kinderklinik zu begeben habe. Für den Fall, dass die baldige Mutter der Anordnung nicht Folge leisten sollte, hat das AG Wesel ferner die Vollstreckung für zulässig erklärt.
Das Gericht argumentiert in den Entscheidungsgründen, das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens betont. Außerdem nimmt das Gericht eine Abwägung vor: Da die werdende Mutter hochschwanger sei, sei bei Fortsetzung des Unterlassens einer Behandlung eine erhebliche Gefährdung des werdenden Lebens zu befürchten.
Im Vergleich dazu sei die erzwungene Behandlung ein verhältnismäßig geringfügiger und zumutbarer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schwangeren.
Praxistipp
In dem vom AG Wesel entschiedenen Fall ging es um das Wohl des Nasciturus und die zwangsweise Behandlung der werdenden Mutter. Solche Anordnungen einer ärztlichen Behandlung können Familiengerichte aber auch treffen, wenn die fachärztliche Behandlung eines schon geborenen Kindes erforderlich ist, weil dessen körperliches oder seelisches Wohl gefährdet ist und die Eltern die Gefahr nicht abwenden können oder wollen. Diese rechtlichen Möglichkeiten sollten GynäkologInnen (und Pädiatern) bekannt sein, falls einmal eine solche Behandlung durchzuführen oder aber eine Anzeige gegenüber dem Jugendamt in einem extremen Fall geboten ist.


